Gret Haller
Der Schutz der Menschenrechte im Wirkungsfeld von Europarat und OSZE
in «Law in Greater Europe: Towards a common legal area ? Essays in honour of Heinrich Klebes», The Hague / London / Boston 1999 (Vorabdruck des selben Textes in Jahrbuch zur Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) 1998, Baden-Baden 1998)

Von Moskau nach Sarajevo: Eine Idee bahnt sich ihren Weg

Moskau im Herbst 1991. Im Rahmen der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) tagt vom 10.September bis zum 4.Oktober die Dritte Konferenz zur menschlichen Dimension. Die Parlamentarische Versammlung des Europarates lässt es sich nicht nehmen, sich am Rande dieser Veranstaltung zu treffen, und ihr Büro beauftragt nicht weniger als vier verschiedene Unterausschüsse, in Moskau gemeinsam eine Sitzung zum Konferenzthema durchzuführen.

Die meisten der angereisten Parlamentarierinnen und Parlamentarier sind zum ersten mal in Moskau. Von einem Beitritt Russlands zum Europarat ist noch längst nicht die Rede, noch besteht die russische Parlamentarierdelegation mit besonderem Gästestatus aus Mitgliedern des Obersten Sowjets der UdSSR. Es finden in Moskau drei Gesprächsrunden statt, eine mit den KSZE-Delegationsleitern der Mitgliedstaaten des Europarates, eine zweite mit einer Vertretung Kanadas und der USA, eine dritte schliesslich mit den Delegationsleitern der Nicht-Mitgliedstaaten des Europarates. Neben vielen Fragen kommt in diesen Gesprächen die Idee auf, der Europarat könnte Nicht-Mitgliedstaaten, die der KSZE angehören, gewisse rechtliche Mechanismen zum Schutz der Menschenrechte anbieten.

Der Bericht über die Sitzung in Moskau, der kurz darauf zuhanden des Unterausschusses für Menschenrechte der Parlamentarischen Versammlung abgegeben wird, enthält einen Passus zur Aufgabenteilung zwischen Europarat und KSZE: «In allen Gesprächsrunden wurde das Thema der Aufgabenteilung zwischen KSZE und Europarat im Bereich der Menschenrechte behandelt. Zweifellos sind die Menschenrechte zu fundamental, als dass irgend eine Institution davon abgehalten werden dürfte, zu ihrer Umsetzung und Verwirklichung beizutragen. Dies ist vorweg festzuhalten. Trotzdem kristallisierte sich in den Gesprächen – insbesondere in der Runde mit den Delegationschefs der Mitgliedstaaten des Europarates – eine Grundtendenz heraus: Die KSZE macht sich die Durchsetzung der Menschenrechte vorwiegend durch politische Mechanismen und vorwiegend durch politischen Druck zur Aufgabe, während die Menschenrechtsverwirklichung durch juristische Verfahren Hauptaufgabe des Europarates ist. Dies ergibt sich schon aus der Struktur und aus der historischen Entwicklung der beiden Organisationen."1)

Die Worte tönen nach wie vor vertraut: eine kurze Umschreibung der Situation, wie sie heute noch gegeben ist. Nur dass der Text auch ein generelles, rechtspolitisches Spannungsfeld antönt, das in den sechs Jahren seither spürbarer geworden ist. Darüber später. Zunächst soll die 1991 entstandene Idee auf ihrem Weg von damals weiterverfolgt werden.

Synergien im Europarat

Bereits am 5.Mai 1992 verabschiedet die Parlamentarische Versammlung zuhanden des Ministerkomitees Vorschläge, wie die in verschiedenen Konventionen des Europarates vorgesehenen Mechanismen auch für Nicht-Mitgliedstaaten nutzbar gemacht werden könnten. Im Vordergrund steht der Gedanke, dass der Gerichtshof für Menschenrechte sowie der
Sachverständigenausschuss der Sozialcharta auf Anfrage der betreffenden Staaten Meinungsäusserungen abgeben würden, und dass das Komitee gegen Folter und unmenschliche Behandlung auch in diesen Staaten tätig werden könnte. Die Vorschläge werden durch das Ministerkomitee den davon betroffenen Organen wie auch der Europäischen Menschenrechtskommission (EMRKom) zur Stellungnahme unterbreitet.

Unter dem Eindruck des inzwischen eskalierenden Krieges in Bosnien beschliesst die Versammlung im Februar 1993 einen zweiten, modifizierten Vorschlag zuhanden des Ministerkomitees. Er geht zurück auf eine Debatte, an welcher der damalige Kopräsident der Internationalen Friedenskonferenz für Ex-Jugoslawien, Lord Owen, teilgenommen und der Versammlung bezüglich Schutzmechanismen konkrete Vorschläge unterbreitet hatte. Dabei liess er sich womöglich auch aus jenen Strassburger Büros inspirieren, in denen man eben daran war, Stellungnahmen zum ersten Vorschlag zu erarbeiten.

Für den zweiten Vorschlag hat das Ministerkomitee – ebenfalls angeregt durch die Debatte mit Lord Owen – bereits Vorarbeiten in Auftrag gegeben, als die Empfehlung seitens der Versammlung formell eintrifft. Schliesslich verabschiedet das Ministerkomitee am 9.März 1993 die Resolution (93)6, welche Grundlage bildet für die Einsetzung von Institutionen zum Schutze der Menschenrechte in Ländern, die noch nicht Mitglieder des Europarates sind. Die Idee des ersten Vorschlages der Versammlung wird vom Ministerkomitee nicht weiterverfolgt. Immerhin resultiert aus diesen Arbeiten ein Zusatzprotokoll zur Europäischen Konvention zum Schutz vor Folter und unmenschlichen oder erniedrigenden Strafen, das dieses Instrument auch Nicht-Mitgliedstaaten des Euroaprates zur Unterzeichnung und Ratifikation öffnen soll.

Einmal mehr hat sich im Europarat ein altes Muster bewährt, das Zusammenwirken der verschiedenen Organe, insbesondere der Parlamentarischen Versammlung und des Ministerkomitees. Dieses Muster hatte 1950 kurz nach der Gründung der Organisation schon zur Verabschiedung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) geführt. Anregungen der Parlamentarischen Versammlung zuhanden des Ministerkomitees sowie die fachkundige Unterstützung einerseits durch das Sekretariat und andererseits durch die Lenkungsausschüsse mit dem breiten Expertenwissen aus den Ministerien der Mitgliedstaaten können zu Synergien führen, die neue Schritte in dieser relativ stark strukturierten und altehrwürdigen Organisation nach wie vor ermöglichen. Dies hat sich wiederum beim Zustandekommen des Protokolls Nr. 11 zur EMRK gezeigt, das die EMRKom und den Gerichtshof für Menschenrechte zu einem einzigen Organ zusammenführen wird.

Die Idee der Nutzbarmachung des Europarates zur Förderung der Menschenrechte in Nicht-Mitgliedstaaten hat nun also eine Rechtsgrundlage gefunden. Das Feld ist offen für Konkretisierungen in Mittel- und Osteuropa. Mitteleuropa bietet dafür schon kein breites Anwendungsfeld mehr, denn inzwischen sind verschiedene mitteleuropäische Staaten Mitglieder des Europarates geworden. Aber ohnehin führt die Ironie des Schicksals die Idee nun zunächst einmal über den Atlantik.

Der Weg führt über Washington und Dayton

Kurz nach der Verabschiedung der Resolution (93)6 wird ihre Anwendung für Kroatien in Betracht gezogen, die Idee dann aber zugunsten anderer Rechtsformen wieder fallen gelassen. Ihre erste formelle Erwähnung findet die Resolution im Abkommen von Washington vom 1.März 1994, das die Basis für die Gründung der Föderation von Bosnien und Herzegovina bildet. Die Einsetzung des vorgesehenen Gerichtshofes für Menschenrechte unterbleibt aber vorläufig: Die mehrheitlich aus Bosniaken (muslimischen Bosniern) und bosnischen Kroaten gebildete Föderation hat der serbischen Seite ein Angebot unterbreitet, sich der Föderation anzuschliessen, so dass die weitere Entwicklung abgewartet werden soll2). Der Anschluss der bosnischen Serben kommt jedoch nicht zustande, und noch mehr als ein Jahr wütet der Krieg weiter, wobei die mittlerweile kooperierenden bosnischen Kroaten und Bosniaken die bosnischen Serben gebietsmässig zurückdrängen. Die bosniakisch-kroatische Föderation wird schliesslich zu einem der beiden Teilstaaten des künftigen Staates Bosnien und Herzegovina.

Schliesslich erklärt das Friedensabkommen von Dayton und Paris vom 14.Dezember 1995 die EMRK für den Staat Bosnien und Herzegovina zu Landesrecht, so dass die durch die Konvention garantierten Rechte zum ersten mal ausserhalb der Mitgliedstaaten des Europarates direkt anwendbar werden. Im Zusammenhang mit Diskriminierungen sind darüber hinaus eine ganze Reihe weiterer völkerrechtlicher Verträge direkt anwendbar. Die EMRK kann durch Bosnien und Herzegovina als Nicht-Mitgliedstaat des Europarates nicht ratifiziert und ihre Organe können in Bosnien nicht tätig werden. Hingegen sieht Annex 6 des Friedensabkommens zwei Institutionen vor, die sich der Umsetzung der völkerrechtlichen Instrumente besonders widmen sollen, einen Ombudsman und eine Menschenrechtskammer.

Die Menschenrechtskammer basiert auf der Resolution (93)6 des Europarates, sie besteht aus 6 bosnischen und 8 internationalen Mitgliedern, wobei die Internationalen vom Ministerkomitee des Europarates ernannt werden sollen. Der Ombudsman soll von der internationalen Gemeinschaft zur Verfügung gestellt und durch die OSZE ernannt werden. Beide Organe sind Institutionen des Staates Bosnien und Herzegovina, obschon sie während der ersten fünf Jahre unter internationaler Leitung stehen. Für die Menschenrechtskammer hat der Europarat die Patenschaft übernommen, für die Ombudsstelle die OSZE. Es handelt sich somit um eine Art joint-venture von Europarat und OSZE. Ende März 1996 nehmen beide Institutionen ihre Tätigkeit auf.

Erfahrungen in Sarajevo

Das Mandat der Menschenrechtskammer kann mit denjenigen der Organe der EMRK verglichen werden. Das Mandat der Ombudsstelle ist sehr breit, es umfasst nicht nur die Publikation von Berichten in Einzelbeschwerdefällen analog der EMRKom, sondern auch die traditionelle Vermittlertätigkeit eines Ombudsman oder die Publikation von Spezialberichten über frei aufgegriffene Themen. Trotzdem konzentriert sich die Tätigkeit dieser Stelle jedenfalls anfänglich stark auf die erstgenannte Funktion. Für die traditionelle Form des Ombudsman ist die Zeit 1996 noch nicht reif, da dieser Ansatz mehr oder weniger funktionierende Behörden und Verwaltungen voraussetzt, damit die informelle Vermittlung zwischen Beschwerdeführer und staatlicher Stelle überhaupt stattfinden kann.

Der Schwerpunkt in der Tätigkeit der Ombudsstelle auf der relativ formellen Behandlung von Einzelbeschwerden analog der EMRKom bringt die kombinierte Rolle der beiden Institutionen gemäss Annex 6 als joint-venture zwischen OSZE und Europarat zum Tragen, denn die Handhabung der Beschwerdefälle orientiert sich in beiden Institutionen am Vorgehen der Organe der EMRK in Strassburg. Dieses Vorgehen fördert überdies den Einzug der neuen völkerrechtlichen Instrumente ins Rechtsleben Bosniens.

Interessant ist die Erfahrung, dass für viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von internationalen Organisationen, die in Bosnien im Bereich der Menschenrechte tätig sind, diese stark juristisch geprägte Vorgehensweise der durch Annex 6 geschaffenen Institutionen und die direkte Anwendung übergeordneten internationalen Rechts zunächst einmal fremd sind. Dies gilt nicht nur für US-Amerikaner und Kanadier, sondern durchaus auch für Europäerinnen und Europäer. Verständlich ist diese Unkenntnis insofern, als die EMRK zum ersten mal ausserhalb der formellen Mitgliedschaft des Europarates zur direkten Anwendung gebracht wird und hiezu erstmals spezielle Durchsetzungsorgane geschaffen worden sind. Erstaunlich dann aber doch die Feststellung, dass viele Internationale, die im Bereich des Monitoring für Menschenrechte arbeiten, den Strassburger Mechanismus und die damit verbundene Rechtsprechung wenig, gelegentlich auch überhaupt nicht kennen. Die direkte Anwendbarkeit völkerrechtlicher Normen und vor allem die darauf basierende Nicht-Anwendbarkeit widersprechender Normen des Landesrechts scheint das Vorstellungsvermögen vieler Internationaler zunächst zu übersteigen.

Vor diesem Erfahrungshintergrund dürfte es nützlich sein, kurz auf die verschiedenen Entwicklungsstufen im Schutz der Menschenrechte einzugehen. Der internationale Schutz der Menschenrechte befindet sich in einem langsamen aber stetigen Prozess der Verdichtung. Eine erste Stufe stellen die Deklarationen und politischen Zielsetzungen internationaler Organisationen dar, auf deren Inhalt man sich berufen kann und deren Umsetzung somit politisch erfolgt. In einer zweiten Entwicklungsstufe werden diese politischen Zielsetzungen als völkerrechtliche Verträge ausformuliert, die von den Staaten unterzeichnet und ratifiziert werden, deren Umsetzung aber jedenfalls auf internationaler Ebene nach wie vor politisch erfolgt. Die dritte Stufe versieht die völkerrechtlichen Verträge mit der Möglichkeit von Individualbeschwerden an ein Gremium, das dem betreffenden Staat Empfehlungen abgibt. In einer vierten Stufe schliesslich mündet die Individualbeschwerde in ein Urteil mit völkerrechtlicher Verbindlichkeit.

Der europäische Vorsprung

Europa hat den Einfluss der nationalen Regierungen in der Durchsetzung von Menschenrechten systematisch zurückgebunden, und zwar gewissermassen durch eine Kompetenzdelegation nach oben sowie durch eine Kompetenzdelegation nach unten. Ob eine Verletzung von in der EMRK garantierten Rechten vorliegt, entscheidet der Gerichtshof für Menschenrechte, wobei die entsprechende Regierung lediglich als Partei im Verfahren auftritt. Es handelt sich somit um eine Kompetenzdelegation an eine übergeordnete internationale Instanz. Ob ein Verfahren durchgeführt wird, entscheidet allein der potentielle Beschwerdeführer, was einer Kompetenzdelegation nach unten gleichkommt. Die Zurückbindung der Regierungen wird durch das Protokoll Nr. 11 zur EMRK verstärkt, verliert doch das Ministerkomitee seine bisherige Kompetenz, über die Frage der Verletzung selber zu entscheiden, und zwar verliert es sie in jenen Fällen, die bisher nicht an den Gerichtshof weitergezogen worden sind.

Dass der Regierungsebene nur diese beschränkte Funktion zugewiesen wurde, ist eine Folge der späten Vierzigerjahre. Man stand damals unter dem Eindruck der entsetzlichen Menschenrechtsverletzungen, die auf diesem Kontinent stattgefunden hatten. Klar war in Europa auch seit langem, dass Demokratie allein noch keine absolute Garantie für die Wahrung der Menschenwürde darstellt, hatten doch auch demokratisch an die Macht gelangte Personen zu vielfältigen Entsetzlichkeiten beigetragen. So begnügte man sich denn nicht mit der Schaffung des Kataloges der Menschenrechte in der EMRK, sondern man fügte den Beschwerdemechanismus bei, der die Regierungen in der erwähnten Art zurückbindet, und der in seiner allgemeinen politischen Verbindlichkeit für einen ganzen Kontinent in dieser Form einmalig geblieben ist.

Zwar kennt die Inter-Amerikanische Menschenrechtskonvention einen ähnlichen Mechanismus, der allerdings lediglich Berichte und Empfehlungen an den betreffenden Staat vorsieht. Politisch hat sich dieses System jedoch nicht voll durchsetzen können. Nur ein Teil der Vertragsstaaten hat die Individualbeschwerde überhaupt anerkannt, und die Konvention ist beispielsweise von den USA nie ratifiziert worden. Die Ratifikation der EMRK und die Anerkennung des darin vorgesehenen Schutzmechanimus hingegen sind politisch eine conditio sine qua non für die Zugehörigkeit eines Landes zu Europa. Die Aufnahme in den Europarat erfolgt nur, wenn sich die Staaten verpflichten, die EMRK innert einer bestimmten Frist zu ratifizieren. Die Anerkennung der Individualbeschwerde wird mit dem Protokoll Nr. 11 obligatorisch. Regierungsunabhängigkeit und rechtliche Ausgestaltung des Menschenrechtsschutzes sind somit heute ein konstituierendes Element Europas.

Die Aktivität der UNO-Menschenrechtskommission basiert demgegenüber auf direktem politischem Druck, der ausschliesslich in den Händen der Regierungen liegt. Sowohl das Thematisieren von Verletzungen wie auch die Interpretation dieser Rechte ist hier gleichermassen dem freien Spiel der politischen Kräfte zugänglich, während Europa sowohl Thematisierung wie auch Interpretation diesem Spiel entzogen hat. Die Regierungsvertretungen haben in der UNO-Menschenrechtskommission einerseits die Aufgabe, bei anderen Regierungen die Einhaltung der Menschenrechte anzumahnen, müssen aber gleichzeitig die Interessen der eigenen Regierung im Auge behalten, seien diese nun wirtschaftlicher oder politischer Natur, was zu einem oft sehr problematischen Geben und Nehmen führen kann. Trotzdem ist die Arbeit der UNO-Menschenrechtskommission im weltweiten Prozess der Menschenrechtsverwirklichung von sehr grosser Bedeutung.

Einen regierungsunabhängigen Mechanismus der Individualbeschwerde gibt es auch im Rahmen der UNO, und zwar vor dem Menschenrechtsausschuss, der durch ein Fakultativprotokoll des Paktes über staatsbürgerliche und politische Rechte geschaffen worden ist. Dieser kann den betroffenen Regierungen und dem Beschwerdeführer «seine Ansicht übermitteln» , er ist kein Gericht und kann nicht völkerrechtlich bindend entscheiden. Er leistet aber Beachtliches und hat eine breite Praxis der Interpretation von Bestimmungen des Paktes entwickelt.

Nach Umsetzung des Protokolls Nr. 11 der EMRK wird im europäischen Verfahren das Ministerkomitee des Europarates lediglich noch für die Ueberwachung des Vollzugs der Urteile zuständig sein. Das Thematisieren von Verletzungen ist nach wie vor Sache des Individuums, und die Interpretation der garantierten Rechte wird ausschliesslich Sache der der Justiz sein, die völkerrechtlich verbindliche Urteile fällt. Diese klare Rollenteilung ist von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Damit hat das europäische System des Menschenrechtsschutzes im Rahmen des langsamen und stetigen Verdichtungsprozesses, der weltweit stattfindet, einen Entwicklungsvorsprung. Die Unterwerfung politischen Handelns von Regierungen im Bereich der Menschenrechte unter internationale Rechtsprechung auf der Basis gemeinsam festgelegter Grundsätze ist ein nicht zu unterschätzender zivilisatorischer Entwicklungsschritt.

Die EMRK hat in den vergangenen bald 50 Jahren grosse Bedeutung erlangt, nicht nur für die einzelnen Beschwerdeführer, sondern auch präventiv, indem Urteile zu Gesetzesänderungen in Vertragsstaaten führen können und oft geführt haben. Die eigentliche Bewährungsprobe steht der Konvention, ihren Organen und dem Europarat aber noch bevor, und dies in der Ausweitung des Anwendungsbereiches auf Mittel- und Osteuropa. Vor dem Blick in die Zukunft jedoch ein kurzer Blick in die Geschichte, die zur heutigen Situation geführt hat.

Europäische Geschichte als Fluch und Segen?

Was in Europa stattgefunden hat, ist die Verrechtlichung des Schutzes der Menschenrechte. Wohl gibt es Lebensbereiche, in denen eine zu starke Verrechtlichung auch problematische Konsequenzen haben kann, indem gesellschaftliche Strukturen zu rigide werden. Der Bereich der Menschenrechte gehört jedoch nicht zu dieser Kategorie. Menschenrechte konkretisieren kurz und prägnant die Würde des Menschen, und diesbezüglich kann absolute Rigidität in der Umsetzung nur oberste Pflicht sein.

Ende der Vierzigerjahre dieses Jahrhunderts war diese Einsicht in Europa zu Gemeinwissen geworden. Es fiel auf den Boden einer langen europäischen Geschichte, die reich ist an Irrwegen, an Entsetzlichkeiten und an Schuld – auch gegenüber anderen Kontinenten -, die aber auch reich ist an konstruktiven Gegensätzlichkeiten, kultureller Vielfalt, sich daraus ergebender Grenzüberschreitungen und Begegnungen mit dem Anderen sowie darauf basierender Philosophie, nicht zuletzt auch Rechts- und Staatsphilosophie. Der geschichtliche Boden und die Einsicht der Gegenwart ermöglichten gemeinsam den damals geschaffenen europäischen Vorsprung in der Durchsetzung der Menschenrechte. So scheinen sich Fluch und Segen der Geschichte gelegentlich zu bedingen.

Eine solche Entwicklung ist keineswegs ein Monopol Europas. Einige träumen schon heute von einem weltweit kompetenten Gerichtshof für Menschenrechte, der von allen Regierungen anerkannt würde. Die Feststellung, dass Zukunft oft mit Träumen beginnt, entbehrt keineswegs des Realitätssinnes. Und doch ist gerade hier anzumerken, dass Europa nicht mehr weltweite Vorbildfunktion beanspruchen sollte, denn die Geschichte dieses Kontinentes wiegt in jeder Hinsicht zu schwer. Zu lange hat die Innovationsfähigkeit Europas ihren Weg in die Welt auch durch Gewaltanwendung gefunden. Und innerhalb dieses Kontinents «verdankt» sich der Vorsprung, von dem hier die Rede ist, geschichtlich gesehen in einem Ausmass menschenrechtlichen Ungeheuerlichkeiten, das zu Bescheidenheit mahnt.

Bescheidenheit bedeutet in diesem Zusammenhang, den europäischen Vorsprung in der Durchsetzung der Menschenrechte zwar als einen Beitrag zum weltweiten, langsamen Vedichtungsprozess in diesem Bereich zu sehen, ohne ihn aber anderen Kontinenten aufzwingen zu wollen. Gerade die so verstandene Bescheidenheit hat jedoch ihre Kehrseite, die in der Verpflichtung besteht, das aus der Geschichte Entstandene zu bewahren und weiterzuentwickeln. Einerseits ist es Europa sich selber schuldig, den aus der eigenen, leidvollen Geschichte resultierenden Vorsprung zu hüten. Dieselbe Verpflichtung resultiert aber anderererseits auch aus der geschichtlichen Schuld Europas, in fremden Kontinenten Menschenrechtsverletzungen begangen zu haben. Wenn aus dem geschichtlichen Fluch letztendlich auch ein Segen hervorgeht, so beinhaltet ein solcher Segen die Verpflichtung, ihn zu pflegen und ihn zur Verfügung zu halten zuhanden derer, deren Geschichte andere Wege beschritten hat. Er beinhaltet sogar die Verpflichtung, ihn zu verteidigen, sollte er in Bedrängnis geraten. Geschichte kann Verpflichtung sein.

Die strukturellen Unterschiede zwischen Europarat und OSZE

Zurück nun aber zum joint-venture zwischen Europarat und OSZE in Bosnien und zu den unterschiedlichen Informationen und Wahrnehmung der Akteure. Diese ergeben sich direkt aus der unterschiedlichen Struktur der OSZE und des Europarates.

Die 1975 als KSZE ins Leben gerufene und inzwischen zur Organisation umbenannte OSZE umfasst 55 Teilnehmerstaaten, darunter die USA und Kanada. Die Bundesrepublik Jugoslawien ist zur Zeit in ihrer Mitgliedschaft suspendiert. Die Aktivität der Organisation wird praktisch ausschliesslich und sehr direkt von den Regierungen bestimmt. Das Sekretariat in Wien beschäftigt als direkte Lohnbezüger etwas mehr als 120 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Das Budget der Organisation beläuft sich (1997) auf rund 340 Millionen österreichischer Schilling (rund 170 Millionen französische Franken). Die Regierungen stellen der Organisation jedoch laufend Personal temporär zur Verfügung, das von ihnen ausgewählt und bezahlt wird. Ein kleiner Teil davon arbeitet im Sekretariat, die meisten aber in den zahlreichen Missionen der Organisation. Alle laufenden Aktivitäten wie auch das Budget der Organisation werden vom Ständigen Rat der Regierungsvertreter beschlossen. Grundsätzliche Entscheide fallen im Ministerrat oder in Gipfeltreffen. Dem Ministerrat obliegt auch die Wahl des Generalsekretärs, sowie die formelle oder informelle Genehmigung bei personellen Besetzungen wichtiger Funktionen. Der Generalsekretär vollzieht die Beschlüsse des Ständigen Rates, das Sekretariat hat keine eigene Agenda. Verantwortlich für die operationelle Tätigkeit der Organisation ist der amtierende Vorsitzende, das heisst der Aussenminister des Vorsitzlandes.

Der 1949 gegründete Europarat umfasst 40 Mitgliedstaaten. Er beschäftigt in seinem Sekretariat etwa 1200 Beamtinnen und Beamte, denen es statutarisch ausdrücklich untersagt ist, Lohnbezüger einer Regierung oder Mitglied eines nationalen Parlamentes zu sein, und deren Auswahl im Verfahren des Concours durch das Sekretariat erfolgt. Das Sekretariat stellt seine Dienste allen Organen des Europarates zur Verfügung, dem Ministerkomitee, der Parlamentarischen Versammlung und dem Kongress der Gemeinden und Regionen Europas. Das Budget beläuft sich (1997) auf rund eine Milliarde französischer Franken. Die Entscheidungskompetenzen sind zwischen den Organen aufgeteilt. Um nur einige Beispiele zu nennen: Die Budgetkompetenz liegt beim Ministerkomitee, die Parlamentarische Versammlung wählt auf Antrag des Ministerkomitees den Generalsekretär und seinen Stellvertreter sowie die Richter am Gerichtshof für Menschenrechte. In den Delegationen der nationalen Parlamente müssen sowohl Regierungs- als auch Oppositionsparteien vertreten sein, so dass diese Kompetenzverteilung gesamteuropäisch betrachtet eine relativ breite politische Abstützung ergibt.

Die Parlamentarische Versammlung der OSZE ist in ihrer Zusammensetzung jener des Europarates nachgebildet, besteht seit Anfang der Neunzigerjahre, verfügt in Kopenhagen über ein räumlich und personell von jenem der OSZE getrenntes Sekretariat und tagt eine Woche pro Jahr. Eine kompetenzmässige Einflussnahme auf die Geschäfte der OSZE ist nicht vorgesehen, die Versammlung hat kein formelles Empfehlungsrecht zuhanden der Regierungsebene. Wie eingangs dargestellt beschliesst die Parlamentarische Versammlung des Europarates demgegenüber Empfehlungen ans Ministerkomitee, und der Sitzungsrhythmus ist wesentlich dichter. Der Kongress der Gemeinden und Regionen, der nach dem selben Schema aufgebaut ist wie die parlamentarische Versammlung, kann ebenfalls Empfehlungen zuhanden des Ministerkomitees abgeben.

Die Struktur der beiden Organisationen könnte unterschiedlicher nicht sein. Die OSZE ist praktisch ausschliesslich ein Aktionsfeld der Regierungsebene, während im Europarat ein Nebeneinander und ein gegenseitiger Ausgleich zwischen den verschiedenen Ebenen besteht, ergänzt und teilweise begründet durch die Funktion der Organe der EMRK. Was die Regierungsebene selber anbelangt, wird die Aktivität des Ständigen Rates der OSZE in den Hauptstädten vor allem in den Aussenministerien und teilweise in den Verteidigungsministerien bestimmt. Demgegenüber betrifft die Aktivität des Ministerkomitees des Europarates in den Hauptstädten auch weitere Ministerien, oft mit einem ausgeprägten Schwerpunkt im Justizministerium.

Was die Umsetzung der Menschenrechte anbelangt, machen die strukturellen Unterschiede zwischen den beiden Organisationen ihre unterschiedliche Position im weltweit sehr langsam ablaufenden Verdichtungsprozess deutlich, der in vier Stufen umschrieben worden ist. Der Europarat agierte bislang auch in der dritten Stufe, er wird aber bald definitiv zur vierten Stufe übergehen, so dass alle Individualbeschwerden zu völkerrechtlich verbindlichen Urteilen führen. Die OSZE agiert auf der ersten Stufe der Umsetzung gemeinsamer politischer Zielsetzungen. Die Logik dieses Unterschiedes ergibt sich auch daraus, dass Menschenrechte für die OSZE vor allem dann von Bedeutung sind, wenn ihre Verletzung eine Gefahr für die Stabilität einer Region oder eines Staates darstellt.

Unterschiedliche Arbeitsweisen

Dementsprechend arbeitet die OSZE vorwiegend vor Ort, die Regierungen stellen Personal jeweils für eine bestimmte Mission zur Verfügung, wo dieses mehrere Monate im Einsatz ist, und diese Missionen konzentrieren sich heute auf Ost- und Südosteuropa. Die Auswahl der Einsatzorte orientiert sich am Konflikt- und Gefährdungspotential für die Stabilität. Was an konzeptioneller Arbeit nötig ist, wird zumeist aus den Teilnehmerstaaten eingebracht. Zu erwähnen sind hier als Arbeitsmethode der OSZE auch die Konferenzen, die neben den Regierungsvertretungen oft auch nicht-gouvernementalen Organisationen offenstehen.

Kontakte des des Europarates vor Ort dauern in der Regel nur einige Tage, die konzeptionelle Arbeit wird in Strassburg geleistet. In diesem Zusammenhang sind die zahlreichen Hilfs- und Aufbauprogramme für mittel- und osteuropäische Staaten zu nennen, die vom Sekretariat angeboten werden. Theoretisch besteht hier die Möglichkeit einer Ueberschneidung mit Aktivitäten des OSZE-Büros für demokratische Institutionen und Menschenrechte in Warschau, praktisch werden die Bemühungen heute in der Regel erfolgreich koordiniert.

Eine besondere Bedeutung kommt im Europarat heute dem «Monitoring» zu, in dessen Rahmen überprüft wird, inwieweit neue Mitgliedstaaten die Verpflichtungen einhalten, die sie anlässlich der Aufnahme in die Organisation eingegangen sind. Sowohl die Parlamentarische Versammlung wie auch das Ministerkomitee haben Abläufe zur Bewältigung dieser Aufgabe eingeführt. Dass es in diesem Bereich bisweilen zu einer Art Kompetition zwischen den Organen des Europarates kommt, kann der Sache und ihrer Zielsetzung selbst eher nützlich als schädlich sein. Bei diesen Abläufen handelt es sich um politisch ausgestaltete Mechanismen, die sich aber auf Rechtsgrundlagen abstützen.

Wichtig sind jedoch auch die regelmässigen politischen Kontakte der Parlamentarischen Versammlung insbesondere in mittel- und osteuropäischen Staaten, die auch für die Menschenrechte von nicht zu unterschätzender Bedeutung sind. Viele Mitglieder der parlamentarischen Delegationen im Europarat investieren neben ihrer Arbeit in den nationalen Parlamenten recht ansehnliche Zeit in diese Kontakte, wobei sie in den betreffenden Ländern oder zu Besuchen im eigenen Land ihre Parlamentskolleginnen und -kollegen treffen, mit ihnen ein Vertrauensverhältnis aufbauen können und so direkt zur Verbreitung europäischer Werthaltungen beitragen.

Schliesslich ist die intergouvernementale Zusammenarbeit des Europarates zu erwähnen, die hohe Beamte aus den Hauptstädten in zahlreichen Fachausschüssen regelmässig zusammenführt. Auch hier werden Vertrauensverhätnisse aufgebaut und erfolgt eine Diffusion von Fachwissen und von mit diesem verbundenen Werthaltungen, die ohne regelmässige Zusammenarbeit nicht möglich wäre.

Hinter all diesen Unterschieden in Struktur und Arbeitsweise der beiden Organisationen verbirgt sich aber ein eminent politischer: Die OSZE ist nach wie vor eine lose Struktur, die es den Regierungen ermöglicht, in vorgegebenem Rahmen ihre Forderungen und Wertvorstellungen einzubringen und sie im tagespolitischen Regierungsgeschehen durchzusetzen. Vorgegeben sind nur gemeinsame politische Ziele, wobei sich tagespolitisch bestimmt, welche dieser Ziele in den Vordergrund rücken und welche nicht.

Die Grundwerte des Europarates sind hingegen zu einem namhaften Teil in Konventionen niedergelegt und für die Staaten völkerrechtlich verbindlich. Diese Grundwerte werden jenseits der tagespolitischen Regierungsinteressen der Mitgliedstaaten oder – im Bereich der Menschenrechte – sogar durchaus gegen diese Interessen umgesetzt, und letzteres basierend darauf, dass sich die Mitgliedstaaten einer internationalen Gerichtsbarkeit unterworfen haben, die völkerrechtlich bindend urteilt. Die Betrachtung der strukturellen Unterschiede zwischen den beiden Organisationen führt somit zurück zum inhaltlichen Unterschied in der Durchsetzung der Menschenrechte.

Die rechtspolitische Errungenschaft als Angelpunkt

Europarat und OSZE unterscheiden sich somit nicht nur strukturell, sondern politisch, und der entscheidenste Unterschied ist ein rechtspolitischer. Effektiv steht der Europarat seit seiner Gründung für den zivilisatorischen Uebergang von der Politik zum Recht, und dies nicht nur im Bereich der Menschenrechte. Oft vergisst man heute, dass am Ursprung des supranationalen Gemeinschaftsrechtes der Europäischen Union in manchen Bereichen die internationale Rechtsvereinheitlichung unter den Mitgliedern des Europarates stand. Die kulturelle und nationalstaatliche Vielfalt, die letztlich die Einzigartigkeit und den Reichtum Europas ausmacht, legte es nahe, den Weg der internationalen Rechtsvereinheitlichung zu beschreiten, dem die wirtschaftliche Integration und die damit zusammenhängende supranationale Vereinheitlichung immer weiterer Rechtsgebiete im Rahmen der Europäischen Union folgte.

Einmal mehr hat Europa heute die Aufgabe, neue Wege zu beschreiten. Es ist im Rahmen der Europäischen Union daran, durch die Integration von Nationalstaaten eine Struktur zu schaffen, an deren Spitze dereinst mit grosser Wahrscheinlichkeit nicht eine allmächtige Zentralregierung vergleichbar derjenigen der Vereinigten Staaten von Amerika stehen wird, deren leitende Organe aber gleichwohl handlungsfähig sein müssen. Im Bereiche der Wirtschaft werden im Zuge der Globalisierung möglicherweise starke universale Randbedingungen gegeben sein. Im Bereich der politischen Strukturen und der Grundwerte hingegen wird Europa weiterhin seinen eigenen Weg gehen, welcher der kulturellen und staatlichen Vielfalt sowie der Geschichte des Kontinentes Rechnung trägt.

Die rechtspolitische Errungenschaft bleibt somit Angelpunkt im Verhältnis zwischen OSZE und Europarat. Der Europarat wird seine Kurssicherheit in den Grundwerten behalten, die auf der Verankerung im Recht beruht, die aber in den Augen eines OSZE-Mitarbeiters als relative Schwerfälligkeit erscheinen mag. Die OSZE andererseits wird ihre kurzfristige Mobilität behalten, die auf die tagespolitische Regierungsnähe zurückzuführen ist, die aber in den Augen eines Mitarbeiters des Europarates als Kursunsicherheit in den Grundwerten erscheinen mag. Gerade aufgrund dieser Unterschiede hat sich mittlerweile zwischen den beiden Organisationen eine konstruktive Zusammmenarbeit auf praktischer Ebene eingespielt, welche die beidseitigen Vorteile gegenseitig durchaus ausnützt, nämlich die kurzfristige Mobilität auf seiten der OSZE und das Expertenwissen des Europarates.

Der Leiter des OSZE-Büros für demokratische Institutionen und Menschenrechte in Warschau bezeichnete die Tätigkeit dieses Büros kürzlich als «Feuerwehr für Menschenrechte» , eine Art Organisation für Notlagen also3). Dieses Bild umschreibt treffend auch die Zusammenarbeit der beiden Organisationen auf der praktischen Ebene, in welcher der Europarat die Baufachleute und die OSZE die Feuerwehr zur Verfügung stellt. Feuerwehr und Baufach müssen aufeinander abgestimmt sein, setzen aber als Tätigkeit je unterschiedliches Wissen, Handeln und Material voraus. Mit anderen Worten: Die rechtspolitische Errungenschaft, für die der Europarat steht, wird heute durch die OSZE in der praktischen Zusammenarbeit anerkannt.

Die Stunde der Wahrheit

Es ist zum Thema Europarat in den vergangenen Monaten öfters lamentiert worden – ausserhalb der Organisation und leider teilweise auch von Insidern – über den Verrat an den eigenen Werten, der durch die Aufnahme neuer osteuropäischer Mitglieder begangen worden sei. Das Lamento geht fehl, weil es zwei Dinge ausser Acht lässt: Erstens die Struktur des Europarates und zweitens die Zeitverzögerung, die der Europäische Vorsprung in der Durchsetzung der Menschenrechte notwendigerweise mit sich bringt.

Die kritische Grösse für die Integrationsfähigkeit des Europarates gegenüber neuen Mitgliedern liegt nicht in erster Linie im Ministerkomitee. In anderen internationalen Organisationen ist der Gradmesser effektiv die Regierungsebene, denn nur von ihr werden dort die Aktivitäten bestimmt. Die besondere Struktur des Europarates, deren er als Hüter der europäischen rechtspolitischen Errungenschaft notwendigerweise bedarf, hat in dieser Organisation hingegen einen etwas anderen Ablauf der Geschehnisse zur Folge. Die kritische Grösse für die Integrationsfähigkeit gegenüber neuen Mitgliedern liegt im Gerichtshof für Menschenrechte, der seine Urteile nicht unter regierungspolitischem Druck fällt. Die umfangreiche Judikatur der Organe der EMRK lässt kaum erwarten, dass sich die Rechtsprechung so rasch massiv verändern könnte.

Die Stunde der Wahrheit wird somit dann eintreten, wenn die ersten Urteile gegen die betreffenden Staaten dem Ministerkomitee zur Ueberwachung des Vollzugs zugeleitet werden. Bis heute sind Urteile des Gerichtshofes letztlich immer anerkannt worden. Auch wenn der Vollzugsprozess bisweilen lange und mühsam ist, so geht er doch immer voran und hält die Entwicklung im betreffenden Land in Bewegung. Was würde geschehen, wenn sich Mitgliedstaaten diesem Prozess entziehen wollten ? Da das europäische Verfahren die Thematisierung von Menschenrechtsverletzungen dem Beschwerdeführer anvertraut und das Urteil über die Verletzung – nach Umsetzung des Protokolls Nr. 11 – dem Gerichtshof vorbehalten hat, wird es allein um die Frage gehen, was der betreffende Staat unternimmt, um das Urteil zu vollziehen.

Die Menschenrechtsdiskussion auf Regierungsebene wird nicht nur eine neue Qualität, sondern auch eine neue Dynamik erhalten, die durch andere internationale Organisationen nicht ausgelöst werden kann, weil dort die rechtspolitischen Voraussetzungen dazu fehlen. Es wäre deshalb verfehlt anzunehmen, dass das europäische Durchsetzungsverfahren die politische Einflussnahme überflüssig machen würde. Das europäische Verfahren teilt der politischen Ebene jedoch eine beschränktere und dadurch eine konzentriertere Rolle zu, nämlich die Ueberwachung des Vollzugs völkerrechtlich verbindlicher Urteile.

Es liegt nahe, in der Ueberwachung des Vollzugs von Urteilen nach Synergien zu suchen. Schon innerhalb des Europarates wird das Zusammenwirken der verschiedenen Organe auch in dieser Frage von Bedeutung sein. In der Parlamentarischen Versammlung, im Kongress der Gemeinden und Regionen Europas wie aber auch in verschiedenen Lenkungsausschüssen kann der Vollzug der Urteile thematisiert und ausserdem in persönlichen Kontakten angesprochen werden.

Konkrete Schlussfolgerungen ergeben sich jedoch vor allem auch für die Regierungsebene selber: In ihrer neuen Dynamik sollte die Diskussion des Vollzugs der Urteile nicht nur in den Räumen des Ministerkomitees in Strassburg geführt werden. Die Thematisierung des Vollzugs von Urteilen des Gerichtshofes für Menschenrechte sollte auch in der UNO-Menschenrechtskommission erfolgen. Auch die bilaterale Ebene könnte noch vermehrt in die Ueberlegungen miteinbezogen werden. Die Diskussion des Vollzugs der Urteile sollte über die Hauptstädte der Mitgliedstaaten systematisch in bilaterale Regierungskontakte einfliessen.

Nationale Institutionen zum Schutze der Menschenrechte

Vor dem Hintergrund der Erfahrung in Bosnien ist noch ein anderes Thema anzusprechen, in welchem Schlussfolgerungen zur Koordination von Aktivitäten der verschiedenen internationalen Organisationen zu ziehen sind.

Der Durchsetzungsmechanismus der EMRK wird in mittel- und vor allem osteuropäischen Staaten kaum überall ausreichen, die Menschenrechte flächendeckend durchzusetzen. Einige dieser Staaten werden zusätzliche Massnahmen treffen, nationale Institutionen zum Schutze der Menschenrechte einrichten, Kommissionen, Ombudsleute oder andere Formen.

Nationale Menschenrechtsinstitutionen können in künftigen Vertragsstaaten der EMRK nicht in der selben Weise aufgebaut werden wie in Staaten, denen die Ratifikation der Konvention mangels Mitgliedschaft im Europarat nicht offensteht. Möglich wäre dies theoretisch schon, aber es würde keinen Sinn machen. In einem Vertragsstaat der EMRK muss beispielsweise ein Ombudsman für Menschenrechte in der Lage sein zu beurteilen, ob er einem Klienten in einer Streitigkeit mit Behörden eher zum Einlenken raten soll oder dazu, ein Verfahren vor den Organen der EMRK einzuleiten. Damit der Ombudsman dazu in der Lage ist, muss er die EMRK und wenigstens in groben Zügen die Rechtssprechung dazu kennen, oder er muss immerhin wissen, wie und wo er diese Informationen beschaffen kann. Dieses Wissen braucht er auch im Verkehr mit den Behörden, denen er im Zusammenhang mit Einzelfällen Empfehlungen abgeben wird, wie Menschenrechtsverletzungen vermieden werden können. In einem Vertragsstaat der EMRK ist diese immer letzte Referenz, Grundlage für Kritik und glaubwürdige Forderungen im Bereich der Menschenrechte.

Aus diesen Ueberlegungen ergibt sich eine konkrete Schlussfolgerung: Bei der Konzeption nationaler Institutionen zum Schutz der Menschenrechte in Staaten, welche die EMRK ratifiziert haben oder dies tun werden, muss sichergestellt sein, dass diese Institutionen die Brücke schlagen zwischen dem menschenrechtlichen Entwicklungsstandard des betreffenden Staates und dem, was auf der internationalen Ebene das Verfahren der EMRK absichert. Die Beratung für den Aufbau solcher Institutionen sollte ausschliesslich durch Fachleute erfolgen, die mit dem Durchsetzungsmechanismus der EMRK vertraut sind. Diese Schlussfolgerung richtet sich an jene internationalen Organisationen, die sich mit dem Aufbau von nationalen Institutionen zum Schutz der Menschenrechte befassen, konkret das OSZE-Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte in Warschau, den Europarat sowie das entsprechende Büro der UNO.

Politisierung der Menschenrechte?

Im Rahmen einer kürzlich lancierten Debatte zur Frage, ob der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte nicht eine solche der Pflichten begefügt werden solle, ist folgendes zu lesen: «Heute, beinahe ein halbes Jahrhundert nach der Universal Declaration of Human Rights, ist deren notwendiger sittlicher Imperativ gegenüber der Menschheit und ihren zweihundert souveränen Staaten in Gefahr. Denn zum einen wird das Stichwort «Human Rights» von einigen westlichen Politikern, zumal in den USA, als Kampfbegriff und als aggressives Instrument der aussenpolitischen Pression benutzt. Dies geschieht zumeist durchaus selektiv..."4). Es mag hier offen gelassen werden, ob auf weltweiter Ebene die Antwort auf die Politisierung der Menschenrechte in einer Erklärung der Menschenpflichten bestehen soll. Zweifel an einem derartigen Vorhaben sind durchaus angebracht.

Richtig ist die Feststellung, dass die Politisierung der Menschenrechte im internationalen Prozess der Verdichtung ihres Schutzes einen Rückschritt darstellt. Auf der europäischen Ebene wäre eine Formulierung der Menschenpflichten jedoch eine durchaus falsche Antwort auf die Gefahr eines solchen Rückschrittes, denn Europa hat eine Politisierung der Menschenrechte auf andere Weise verhindert, und zwar im Durchsetzungsmechanismus der EMRK. Andererseits spricht das obige Zitat Zusammenhänge an, die für das Thema dieses Beitrages durchaus von Bedeutung sind. Zwei Stichworte sollen dies verdeutlichen.

Das erste Stichwort betrifft den Einfluss der Medien auf gesellschaftliche Vorgänge. Gesellschaftliche Phänomene scheinen nur noch dann als solche wahrgenommen zu werden, wenn sie sich medienwirksam niederschlagen. Sollte man mit der These einig gehen, wonach der Uebergang vom Krieg zur politischen Auseinandersetzung und die spätere Einbindung der Politik ins Recht einen zivilisatorischen Fortschritt darstellt, so kann man der Feststellung nicht ausweichen, dass der Einfluss der Medien diesen Zivilisationsfortschritt gelegentlich beeinträchtigt: Vor allem die Bildmedien haben die Tendenz, kriegerisches Geschehen für attraktiver zu halten als politisches Geschehen, und verglichen mit der Politik dürfte rechtliches Geschehen für diese Medien der Attraktivität erst recht entbehren, es sei denn, es handle sich um Schauprozesse.

Das zweite Stichwort heisst Geschwindigkeit. Kriegerische Handlungen passieren in Sekundenschnelle, politisches Geschehen benötigt schon etwas mehr Zeit, und rechtliche Abläufe schliesslich sind in verschiedener Hinsicht noch viel zeitaufwendiger. Zwischen der grossen Geschwindigkeit eines Ablaufes und dessen Medienwirksamkeit besteht ein offenkundiger Zusammenhang. Und beide – Geschwindigkeit und Medienwirksamkeit – scheinen in gewisser Weise umgekehrt proportional zu sein zu dem, was eben als zivilisatorischer Fortschritt umschrieben worden ist.

Mit anderen Worten ist es die rechtspolitische Errungenschaft Europas im Bereich der Menschenrechte als solche, welche die Medienwirksamkeit behindert. In diesen Themenbereichen ist nun auch eine der Antworten zu finden auf die Frage nach der unterschiedlichen Information und Wahrnehmung der verschiedenen Akteure in Bosnien. Wer mit der Systematik des europäischen Vorsprunges in der Durchsetzung der Menschenrechte nicht professionell vertraut ist, kann diesen Ansatz aus den Medien praktisch nicht kennen. Medienwirksam sind hingegen der direkte aussenpolitische Druck im bilateralen Bereich sowie die politischen Diskussionen in der UNO-Menschenrechtskommission, also alles Aktivitäten, die vollumfänglich von Regierungen ausgehen und deren politische Handhabung in den Händen der Regierungen liegt.

Man wird nun logischerweise die Frage stellen, ob der Europarat für mehr Medienwirksamkeit des Durchsetzungsmechanismus der EMRK sorgen sollte. Nützlich wäre dies zweifellos. Hier ist jedoch nochmals auf die «Stunde der Wahrheit» zurückzukommen: Die Menschenrechtsdiskussion auf Regierungsebene aufgrund der EMRK wird nicht nur eine neue Qualität, sondern auch eine neue Dynamik erhalten. Zentral werden dabei die Anstrengungen sein, die politische Diskussion über den Vollzug der Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte über das Ministerkomitee des Europarates hinaus auch in andere Gremien zu tragen, die OSZE, die UNO-Menschenrechtskommission sowie in vielfältige bilaterale Kontakte.

Sollte dies gelingen, dürfte sich vermehrte Medienwirksamkeit schon dadurch ergeben. Medienwirksamkeit in dieser Form beruht zwar auf politischer Diskussion und politischem Druck, dies jedoch ohne die Gefahr einer «Politisierung der Menschenrechte» im oben angesprochenen Sinne, da die Kompetenz des Gerichtshofes und die Beschwerdeberechtigung des Einzelnen unangetastet bleiben.

Die politische Wahrung der rechtspolitischen Errungenschaft

In diesem Zusammenhang ist nun aber noch ein zweiter Bereich zu erwähnen, in welchem die politische Ebene für den europäischen Vorsprung entscheidend ist: die Wahrung und allenfalls die Verteidigung dieses Vorsprunges als rechtspolitische Errungenschaft ist nämlich eine eminent politische Aufgabe.

Der europäische Vorsprung in der Durchsetzung der Menschenrechte gerät heute auch ins Spannungsfeld der Diskussion um Globalisierung und Deregulierung. In Zeiten der Deregulierung herrscht allgemein die Meinung vor, im Bereich der Wirtschaft sei es besser, Interessengegensätze durch kurzfristige Ausmarchungen zu lösen als durch Grundsatzregelungen. Zwar wird im Bereich der Menschenrechte nicht über Deregulierung diskutiert. Wäre dies der Fall, so stünde die rechtspolitische Errungenschaft Europas in Gefahr.

Die Globalisierung, die sich längst nicht nur auf die Wirtschaft, sondern auch auf Kultur und Politik auswirkt, hat jedoch zur Folge, dass europäische Kultur und Politik stärker und häufiger mit der weltweiten Situation konfrontiert werden. Deshalb ist es nicht nur nützlich sondern notwendig, dass sich die europäischen Akteure im Bereich der Menschenrechte der Unterschiede bewusst sind und die verschiedenen Entwicklungsstufen im Schutz der Menschenrechte sowie den weltweiten, langsamen Verdichtungsprozess im Auge behalten. Die rechtspolitische Errungenschaft Europas im Bereich der Menschenrechte besteht darin, den Schutz dieser Rechte der tagespolitischen Ausmarchungen zwischen Regierungen entzogen zu haben, und diesen nurmehr die Ueberwachung des Vollzugs von Urteilen zuzuweisen. Die weniger entwickelten Stufen des Menschenrechtsschutzes bedienen sich somit derregulierterer Formen als der europäische, oder historisch korrekter ausgedrückt: Der europäische Ansatz hat eine intensivere Verrechtlichung erfahren, denn der Verdichtungsprozess führt grundsätzlich von der Politik zum Recht.

Wenn in der Erklärung von Madrid der NATO vom 8. Juli 1997 der recht umfangreiche Passus über Demokratie und Menschenrechte die OSZE als diejenige – und wohl implizit gemeint die einzige – Organisation bezeichnet, der die Durchsetzung dieser Werte in Europa obliegt, so lässt dies aufhorchen. Es zeigt die mangelnde Vertrautheit der Vertretungen europäischer Regierungen, welche die Erklärung mitformuliert oder mitverabschiedet haben, mit dem Umstand, dass die OSZE gemessen am weltweiten Entwicklungsprozess in der Menschenrechtsverwirklichung einen weniger verdichteten Ansatz zur Anwendung bringt als der Europarat, so dass eine solche Aussage effektiv einen Rückschritt bedeuten könnte.

Wenn die OSZE selber im Mandat des von ihr geplanten Beauftragten für Medienfreiheit die EMRK offenbar bewusst nicht erwähnt, so dass 34 OSZE-Staaten, welche diese Konvention ratifiziert haben, eine interpretative Erklärung abgeben, wonach der Medienbeauftragte auch die Meinungsäusserungsfreiheit einschliesslich Medienfreiheit gemäss EMRK zu berücksichtigen hätte, so lässt dies ebenfalls aufhorchen. Es zeigt, dass noch mehr bewusst gemacht werden muss, wie wichtig die Vernetzung der verschiedenen Entwicklungsstufen im weltweiten, langsamen Prozess der Verdichtung des Schutzes der Menschenrechte ist, um zum Voranschreiten dieses Prozesses beizutragen.

Ausblick

Sarajevo im November 1997. Die ersten Eisblumen am Fenster des kleinen Logis über der Altstadt, in welchem dieser Beitrag entstanden ist. Vor einigen Tagen hat sich der dritte Nachkriegswinter in Sarajevo breitgemacht. Bald können die beiden Institutionen, die durch Annex 6 des Abkommens von Dayton und Paris geschaffen worden sind, auf zwei Jahre Tätigkeit zurückblicken, in denen sie versucht haben, vor allem die EMRK ins Rechtsleben von Bosnien und Herzegovina einzubringen. Zunächst geschah dies in aller Stille, ja fast in Abgeschiedenheit von der allgegenwärtigen Medienpräsenz der ersten Nachkriegsmonate. Es galt, Arbeitsabläufe einzurichten und die internationale Gemeinschaft mit dem rechtlichen Ansatz vertraut zu machen, welcher der Tätigkeit beider Institutionen zugrundeliegt. Möglich war dies, weil man genau wusste, wovon man ausging, man führte eine bald 50 Jahre alte Tradition fort. Es hat seine Zeit gedauert, bis sich die ersten Auswirkungen der Arbeit abzeichnen, welche nun auch die Medien zu interessieren beginnen. Und klar wird heute, dass sich diese Auswirkungen nicht abzeichnen würden, hätte man die eigene Tätigkeit vorwiegend auf Medienwirksamkeit ausgerichtet. Vielleicht ist es gelegentlich doch möglich, die verhängnisvolle Verbindung zwischen Medienwirksamkeit und Geschwindigkeit aufzubrechen.

Im Moskau des Herbst 1991 hätte wohl niemand den Weg über die Resolution (93)6 zum Abkommen von Dayton und nach Sarajevo vorausahnen können. Verschiedene Dinge haben sich inzwischen auf diesem Weg geklärt. Schutzmechanismen für Menschenrechte in Nicht-Mitgliedstaaten des Europarates werden eine Ausnahme bleiben, da die meisten mittel- und osteuropäischen Staaten inzwischen Mitglieder des Europarates geworden sind. Die Erfahrungen in Bosnien sind neben ihrer Bedetung für das Land selber jedoch nützlich zum besseren Verständnis der Einbettung der EMRK und ihres Durchsetzungsmechanismus in die Landschaft europäischer Organisationen.

Geschichte kann Verpflichtung sein. Europa ist wie kein anderer Kontinent von der Verpflichtung aus seiner Geschichte geprägt. Was die Menschenrechte anbelangt, resultierte bis vor einigen Jahren die Verpflichtung vor allem aus der Geschichte bis 1945. Strassburg wurde zum Symbol dieser Verpflichtung, und in der EMRK hat das geschichtliche Nie-Wieder seinen rechtspolitischen Ausdruck gefunden. Heute gibt es ein Nie-Wieder aus der Geschichte Südosteuropas am Ende dieses Jahrhunderts. Sarajevo ist in dieser Hinsicht genau so wie seinerzeit Strassburg zum Symbol geschichtlicher Verpflichtung geworden.

Verpflichtung aus Geschichte ist aber unteilbar. Im Bereich der Menschenrechte steht Europa vor der nicht geringen Aufgabe, seine rechtspolitische Errungenschaft in der Durchsetzung dieser Rechte auf Mittel- und Osteuropa auszudehnen. Da diese Errungenschaft ihren Niederschlag in der EMRK gefunden hat, liegt die Hauptlast in der Erfüllung dieser Aufgabe beim Europarat. Dieser hat sich sofort auf den Weg gemacht, auch die erneuerte und erweiterte geschichtliche Verpflichtung einzulösen, einerseits durch eine beförderliche Aufnahme mittel- und osteuropäischer Staaten und andererseits durch eine Reform des Durchsetzungsmechanismus der EMRK. Alle europäischen Organisationen wie auch die Regierungen aller europäischen Staaten werden aufgerufen sein, das ihre zu dieser Entwicklung beizutragen, indem sie das Durchsetzungsverfahren der EMRK entschlossen unterstützen.

1) Report on the meeting of the Sub-Committee on Human Rights in Moscow on 30 September and 1 October 1991

2) Communication from the Committee of Ministers, Interim reply to Recommandation 1204(1993) and Recommandation 1219(1993) on establishing a mechanism for the protection of human rights in European states not members of the Council of Europe (Doc.7113)

3) Neue Zürcher Zeitung vom 15.Oktober 1997

4) Helmut Schmidt in «Die Zeit» vom 3.Oktober 1997