FR-Diskussion: Schweizer Autorin Haller stellte ihr Thesen über amerikanischen Fundamentalismus und europäische Identität vor
"Das ganze Buch ist eine Warnung vor Bekenntnissen.» Gret Haller lächelt bei diesem Satz. Charmant. Mit einem gewissen Blinzeln, das sagt: Da steckt was dahinter. Beispielsweise, dass ihr neues Buch selbst ein Bekenntnis ist. Es ist im Aufbau-Verlag erschienen, heißt «Politik der Götter – Europa und der neue Fundamentalismus» . Und dank der Kooperation von Verlag und FR stellt die Autorin es in der Romanfabrik vor.
Haller sitzt am Mittwochabend im gut gefüllten Saal des Kulturtreffs neben Stephan Hebel, stellvertretender Chefredakteur der FR, und Michael Lüders, FR-Nahostexperte. Die beiden diskutieren mit der Schweizer Ex-Parlamentspräsidentin, Sozialdemokratin, Juristin, Staatsphilosophin, Krisenmanagerin in Bosnien über ihren Begriff von Fundamentalismus.
Denn neben einer klaren Analyse der aktuellen Probleme mit islamischem Fundamentalismus hat Haller noch ein ganz anderes Thema. Das scheint vordergründig der US-amerikanische Fundamentalismus zu sein. Der ist – zumindest in der englischsprachigen akademischen Welt – eigentlich ein gut erforschter Bereich. In Deutschland nicht unbedingt. Man denkt da meist an christliche Fanatiker aus dem Mittelwesten und Süden der Vereinigten Staaten.
Haller geht es aber um etwas anderes, um fundamentalistische Tendenzen im Staatsverständnis der USA seit ihrer Gründung. Schon damals, belegt Haller in «Politik der Götter» , setzt der Weg der USA zur (damals eher nur gedanklichen) Weltmacht mit Alleinvertretungsanspruch an: Grundsätzlich sei jeder außerhalb Amerikas zu bedauern. Die USA schotten sich im Laufe ihrer Geschichte systematisch gegen jede internationale Kooperation ab – ausgenommen ist die Nato im Kalten Krieg. Seit dessen Ende, so Haller, sei Nordamerika wieder es selbst: erfüllt von messianischem Sendungsbewusstsein, misstrauisch gegenüber der Welt, arrogant und gefährlich, weil versessen auf das Individuum.
"In den USA kann man ganz individualistisch leben und die USA sehr wohl ablehnen.» In Europa lebe man immer mit anderen und ohne Staat schon gar nicht. Da ist Haller bei ihrem Hauptthema Europa angekommen. Sie sieht einen ideologischen Streit, in dem es um konkurrierende Selbstverständnisse geht: amerikanische Ich-Versessenheit und Staatsphobie gegen Europas in Jahrhunderten Imperialismus und zwei Weltkriegen leidvoll gewonnene Erkenntnis, dass alle Menschen gleiche Rechte haben. Die ihnen nur ein gleichheitlich gesinnter Staat garantieren kann. «Letztlich hat der Mensch eine politische Verantwortung.» Und muss sie wahrnehmen.
Dabei lehnt Haller einen Kulturkampf zwischen USA und Europa ab: «Gleichheit und Ungleichheit müssen geschickt ineinander greifen.» Sagt also, dass Individualität ausgelebt werden muss, aber nicht auf Kosten anderer. Haller wünscht sich einen von Europa beherzt geführten Streit. «Wir reden viel zu selten darüber, was Europa ist, was die europäische Identität ist.» Und da wird Hallers Buch genau das, was es angeblich nicht sein will: ein Bekenntnis. Zu Europa.
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Dokument erstellt am 27. Oktober 2005 um 19:08:16 Uhr
Erscheinungsdatum 28. Oktober 2005